In den letzten Wochen habe ich in zwei Gesprächen mit Kolleg*innen aus verschiedenen Städten gehört, dass ihnen jeweils mehr als 130.000 Euro für den Kauf eines hälftigen Kassensitzes genannt wurden. Ein Preis, der viele Fragen aufwirft, wenn man einen Kassensitz kaufen möchte. Die beiden haben mir fast dieselbe Frage gestellt: „Lohnt sich das?“ Und beiden habe ich – sinngemäß – so etwas gesagt wie: „Es kommt darauf an.“
Denn wie so oft gibt es kein Schwarz oder Weiß. Leider.
Vielleicht fragen auch Sie sich: Was wäre ein fairer Preis für einen Kassensitz? Wie viel Risiko ist sinnvoll? Und wie finde ich überhaupt heraus, ob das Ganze für mich der richtige Schritt ist – finanziell, aber auch persönlich?
In diesem Blogpost will ich meine Gedanken dazu ein bisschen ausführen. Ich zeige Ihnen, welche konkreten Zahlen Sie in Ihre Überlegungen einbeziehen können. Und ich lade Sie ein, auch die emotionale Seite der Entscheidung mitzudenken.
In Heidelberg und Mannheim liegen die Beträge für einen halben Kassensitz übrigens deutlich niedriger – meistens irgendwo zwischen 25.000 und 35.000 Euro, von Stuttgart habe ich mal 45.000,- gehört. In etwas ländlicheren Regionen kann es auch vorkommen, dass Sitze deutlich günstiger sind oder sogar ohne Übernahmekosten abgegeben werden – mangels Bewerber*innen.
In Baden-Württemberg kommt noch ein wichtiger Punkt hinzu: Wenn der Preis für einen Kassensitz stark vom ortsüblichen Rahmen abweicht, kann man eine Überprüfung durch den Zulassungsausschuss der KV veranlassen – ich habe schon von Fällen gehört, wo der Preis zum Schluss sehr deutlich herab gesetzt werden musste.
Als Käufer*in können Sie sich gegen überhöhte Preisforderungen also aktiv zur Wehr setzen – mit guten Erfolgsaussichten. Jedenfalls in Baden-Württemberg, in anderen Bundesländern scheint das kein übliches Vorgehen zu sein.
Was kostet ein Kassensitz – und warum variiert der Preis so stark?
Wenn Sie sich gerade mit dem Gedanken tragen, einen Kassensitz zu übernehmen, begegnen Ihnen also sehr unterschiedliche Summen. Die Spanne liegt irgendwo zwischen 145.000 Euro für einen hälftigen Sitz – und 15.000,- oder sogar kostenlos. Wie passt das zusammen? Und woran liegt das?
Hier ein paar wichtige Punkte, die helfen, das besser einzuordnen:
- In Baden-Württemberg liegt der Preis für einen halben Sitz in den Städten meist zwischen 25.000 und 35.000 Euro.
- In ländlicheren Regionen ist es nicht ungewöhnlich, dass Sitze deutlich günstiger abgegeben werden – manchmal sogar ganz ohne Kaufpreis.
- In Städten wie Köln oder Berlin berichten Kolleg*innen derzeit von Preisen um die 130.000 Euro – für einen halben Sitz.
- Der wichtigste Grund für diese Unterschiede: In Baden-Württemberg prüft der Zulassungsausschuss, ob der Preis im ortsüblichen Rahmen liegt. Überhöhte Forderungen können dazu führen, dass die Übertragung abgelehnt wird.
- Das bedeutet auch: Käufer*innen können sich gegen überzogene Preise mit Aussicht auf Erfolg wehren
- In anderen Bundesländern ist dieser Schutz weniger ausgeprägt – dort setzen sich Marktpreise oft unreguliert durch.
Zusammengefasst: Die Preise für hälftige Kassensitze unterscheiden sich nicht nur zufällig. Wer in Baden-Württemberg gründet, profitiert von klaren Regeln, die Fantasiepreise verhindern. In anderen Bundesländern kann es dagegen sehr teuer werden – vor allem in Großstädten. Doch selbst dort ist es eine Frage des Einzelfalls – und der persönlichen Bereitschaft, diesen Preis zu zahlen. Und das Prinzip "Angebot und Nachfrage" spielt natürlich eine Rolle, so dass es in weniger gefragten Regionen fast immer sehr viel günstiger oder sogar kostenneutral ist, sich mit einer eigenen Kassenpraxis niederzulassen.
Was Sie mit bedenken sollten, bevor Sie sich entscheiden
Mir wird oft die Frage gestellt: „Lohnt sich das finanziell?“, wenn man überlegt, einen Kassensitz zu kaufen.
Eine sehr berechtigte Frage.
Aber sie lässt sich nicht mit einem einfachen "ja" oder "nein" beantworten, vor allem wenn der Preis sehr hoch ist. Denn es kommt ganz darauf an, wie viel Sie realistischerweise arbeiten können oder wollen, wie hoch Ihre Kosten davon abgesehen sind (Miete etc) – und wie Ihr Leben sonst aussieht. Außerdem sollten Sie in Ihre Überlegungen mit einbeziehen, ob Sie bereit sind, einen Teil Ihrer Arbeitszeit mit Verwaltung und Organisation statt mit Behandlungen zu verbringen. Dieser Teil generiert keine Einkünfte, vermindert also das mögliche Einkommen, wenn Sie Ihre Arbeitszeit nicht erhöhen möchten.
Hier ein paar Überlegungen, die Sie in Ihre Entscheidung mit einbeziehen sollten:
- Wie viele Sitzungen pro Woche möchten oder können Sie anbieten?
- Wieviel Zeit wären Sie pro Woche bereit, sich mit Verwaltung/ Organisation zu beschäftigen?
- Wie viel Urlaub oder sonstige Abwesenheit planen Sie realistisch pro Jahr ein?
- Wie hoch sind Ihre monatlichen Fixkosten (Praxis-Miete, Versicherungen, Verwaltung, evtl. Kredite aus der Ausbildung)?
- Haben Sie Zugang zu finanzieller Unterstützung? Jobcenter, Gründungszuschuss, private Rücklagen?
- Wie viel können und wollen Sie monatlich für einen Kredit aufbringen?
- Wie lang wären Sie bereit, den Kredit abzuzahlen? Sind Sondertilgungen möglich (also die Möglichkeit, zusätzlich zum normalen Monatsbetrag freiwillig mehr zurückzuzahlen – etwa, wenn Sie eine Erbschaft bekommen oder die Praxis gut läuft)?
- Nicht vergessen: Kreditraten lassen sich nicht steuerlich absetzen – Zinsen und das, was Sie vom Kredit kaufen, in der Regel schon.
- Und ganz wichtig: Die Honorare pro Therapiesitzung sind überall gleich – egal, ob Sie in der Großstadt oder auf dem Land arbeiten. Das bedeutet: Wenn Sie für den Sitz 130.000 Euro zahlen, zusätzlich hohe städtische Mieten haben und deshalb über 10–15 Jahre hohe Kreditraten abzahlen müssen, bleibt am Ende deutlich weniger übrig als in einer Region, wo Sie einen Sitz für 25.000 Euro kaufen – oder vielleicht sogar kostenlos übernehmen können.
Eine konkrete Formel zur Kalkulation Ihrer Arbeitszeit und Gewinnspanne finden Sie übrigens in meinem Mini-E-Kurs:
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Zusammengefasst: „Lohnt sich das?“ lässt sich nicht nur per Taschenrechner beantworten. Der emotionale Aspekt und Ihre Vorstellung von Ihrer Lebensgestaltung kann nicht perfekt in Zahlen gepackt werden. Aber Sie können ausrechnen, wie Ihre Zahlen ungefähr aussehen würden, wenn Sie Ihre persönlichen Rahmenbedingungen realistisch einbeziehen. Dann wird die Entscheidung klarer und hoffentlich etwas leichter.
Entscheiden unter Unsicherheit: Was Ihnen hilft, eine gute Wahl zu treffen
Wenn es um die eigene Praxisgründung geht, merken viele Kolleg*innen: Die Entscheidung fühlt sich ganz anders an, als man dachte. Viele erleben Unsicherheit – und das, obwohl sie im Alltag genau darin geschult sind, andere Menschen durch schwierige Entscheidungen zu begleiten.
Vielleicht hilft es, unser klinisches Wissen auch auf uns selbst anzuwenden.
Was wissen Sie z.B. über sich: Wie gehen Sie mit Unsicherheit um? Was hilft Ihnen, wenn Sie etwas nicht ganz überblicken kann? Was wäre ein nächster, gangbarer Schritt – auch ohne absolute Sicherheit? Wie könnten Sie sich selbst emotional stärken und unterstützen?
- Erlauben Sie sich, dass es keine perfekte Sicherheit geben kann.
- Fragen Sie sich: Was sind meine wichtigsten Werte? Geht es um Freiheit, Selbstbestimmung, mehr Freizeit, Sicherheit – oder etwas ganz anderes?
- Warum ist mir die eigene Praxis so wichtig? Könnte ich das, was ich mir davon erhoffe, vielleicht auch auf einem anderen Weg erreichen – zum Beispiel mit einer anderen Stelle?
- Reden Sie mit Kolleg*innen, die schon gegründet haben – nicht nur über Zahlen, sondern auch über Erfahrungen.
- Holen Sie sich gezielt Beratung: Steuerberater*in, Bank, Praxis-Coaching – oder auch eine Supervision mit Blick auf Ihre eigene Situation.
- Stellen Sie sich die Fragen, die Sie gut kennen – aber auf sich selbst angewendet vielleicht herausfordernder als gedacht sind: Sie wissen schon, so etwas wie: Was würde ich entscheiden, wenn ich keine Angst hätte? Was würde ich bereuen, wenn ich es nicht probiere?
Zusammengefasst: Eine Praxis zu gründen ist nicht nur eine wirtschaftliche Entscheidung – sondern auch ein persönlicher Entwicklungsprozess. Gerade in diesen Momenten hilft es, sich selbst freundlich und großzügig zu begegnen - und Frieden mit der eigenen Entscheidung zu schließen, sobald sie getroffen ist (egal, welche getroffen wurde)
Fazit: Was „es kommt darauf an“ genau bedeuten kann
„Lohnt sich das?“ Diese Frage haben mir in kurzer Zeit gleich mehrere Kolleg*innen gestellt – nachdem ihnen jeweils ungefähr 130.000 Euro für einen hälftigen Kassensitz genannt wurden. Die Antwort ist oft erst mal ein „Es kommt darauf an“.
Die Preisunterschiede für Kassensitze sind enorm – zwischen Bundesländern, Regionen und Stadt-Land-Lagen. Baden-Württemberg bietet hier vergleichsweise viel Sicherheit, weil der Zulassungsausschuss überhöhte Preise überprüft – was Käufer*innen aktiv schützt und das gesamte System stabilisiert.
Auch die Mietpreise sind bekanntermaßen extrem unterschiedlich. Die Honorare sind allerdings überall gleich. Wenn ich davon ausgehe, dass derzeit sicherlich auch ein ländlicher Sitz in kurzer Zeit komplett ausgebucht ist, verdient man hier relativ deutlich mehr als in einer Großstadt.
Was das für Sie persönlich bedeutet, ob sich ein Sitzkauf für Sie lohnt, hängt also stark davon ab, wo Sie leben bzw. wo Sie Ihre Praxis eröffnen möchten. Außerdem aber auch von Ihren persönlichen Rahmenbedingungen und von Ihren Werten:
- Wie viel möchten Sie arbeiten? Wieviel davon soll klinisch sein?
- Wie viel verdienen?
- Welche monatlichen Verpflichtungen haben Sie alles in allem?
- Wie wichtig ist Ihnen die eigene Praxis und warum?
- Wie müsste eine Anstellung gestaltet sein, um alle diese Aspekte (oder einige davon) abzudecken?
- Und: Welche finanziellen und emotionalen Risiken sind Sie bereit einzugehen?
👉 Möchten Sie Ihre Einnahmen und Ausgaben mal konkret durchrechnen?
Dann schauen Sie gern in meinen Mini-E-Kurs „Arbeitszeit-Gewinnanalyse“. Der hilft Ihnen, Ihre persönliche Entscheidung auf ein solides Fundament zu stellen.
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