Die Entscheidung zwischen einem Kassensitz und einer Privatpraxis ist nicht schwarz-weiß
Kassenpraxis oder Privatpraxis? Das ist keine Wahl zwischen schwarz oder weiß. Es gibt einige Grautöne und Übergänge. Und manchmal ist die Frage auch nicht "ob", sondern "wann".
Viele Psychologische Psychotherapeut*innen gründen beispielsweise zunächst eine Privatpraxis und bewerben sich später auf einen Kassensitz. Ich habe auch schon von Kolleg*innen gehört, die einen Kassensitz aufgeben, um nur noch privat abzurechnen. Zum Beispiel, weil ihnen die Bürokratie zu viel wurde.
Manche gründen auch "erstmal" eine Privatpraxis und bleiben dann entgegen der ursprünglichen Absicht dauerhaft dabei. Weil sie merken, dass es für sie funktioniert. Andere erwerben direkt einen Kassensitz und sind damit für den Rest ihres Berufslebens glücklich. Wie so oft gibt es also auch keine definitive oder richtige Antwort auf die Frage "Ist eine Kassenpraxis besser als eine Privatpraxis?".
Es ist ja auch so, dass man in einer Privatpraxis durchaus mit gesetzlich Versicherten arbeiten kann, entweder über das sogenannte Erstattungsverfahren oder auch auf Selbstzahlbasis. Und in einer Kassenpraxis wiederum behandelt man oft auch privat versicherte Patient*innen.
Hier trage ich in der Art eines Vierfelder-Schemas die wichtigsten Argumente zusammen, um Ihnen einen Überblick über die jeweiligen Vor- und Nachteile zu verschaffen.
5 Argumente pro und contra Kassensitz
5 Gründe FÜR einen Kassensitz
- Die finanzielle Planung der eigenen Praxis ist gut möglich: Derzeit können wir sicher sein, dass wir in einer Kassenpraxis so viele Therapiesitzungen vergeben können, wie wir möchten
- Eng damit zusammenhängend: Wir haben keine Zahlungsausfälle (die KV zahlt spät und manchmal nach intransparenten Regeln, aber sie zahlt). Man muss entsprechend auch keinen Zahlungen hinterherrennen
- Bei entsprechender Indikation ist es klar, dass gesetzliche Kassen die Behandlung übernehmen. Wenn Berichte anfallen, werden sie (nicht hoch, aber immerhin) honoriert und die Therapie normalerweise auch genehmigt
- Man kann Patient*innen unabhängig von deren finanziellen Möglichkeiten und Versicherungsstatus behandeln
- Es ist keinerlei "Marketing" notwendig, um die Praxis zu füllen
5 Gründe GEGEN einen Kassensitz
- Die Kosten für den Erwerb des Sitzes belaufen sich fast immer auf mehrere 10.000,-€
- Je nach Gegend kann es dann trotzdem auch noch Monate oder sogar Jahre dauern, bis man überhaupt einen Sitz zugesprochen bekommt
- Man ist mit einem Kassensitz räumlich gebunden. Selbst ein Umzug im selben Stadtteil ist genehmigungspflichtig und kann an der Bürokratie scheitern (welcher Vermieter hält die Räume bis zur nächsten Sitzung des Zulassungsausschusses frei?). Den Sitz aus dem ursprünglichen Bezirk herauszulösen, geht gar nicht
- Die KVen sind Bürokratiemonster, der Verwaltungsaufwand ist enorm und häufig sind die Regeln intransparent
- Es kommt durchaus vor, dass es deutliche Veränderungen (z.B. in der Honorierung) gibt, die man nicht oder erst bei der nächsten Honorarabrechnung (viele Monate später) mitbekommt. Gegensteuern und echtes unternehmerisches Handeln ist unter diesen Bedingungen schwierig
5 Argumente pro und contra Privatpraxis
5 Gründe FÜR eine Privatpraxis
- Im Prinzip ist ein höheres Honorar für Therapiesitzungen möglich
- Freiheit in der konkreten Planung: Man kann die Praxis eröffnen, wo man will und wo man passende Räume findet. Man kann die Praxis auch eröffnen, wann man will. Und muss nicht eventuell lange darauf warten, bis ein Sitz frei wird und der Zulassungsausschuss einem diesen zuspricht
- Man ist auch in den Behandlungsmethoden freier als in einer Kassenpraxis. Natürlich gibt es die Grenzen der Berufsordnung (und der Ethik), aber die Begrenzungen der KV fallen in einer Privatpraxis weg
- Je nach Gegend, Behandlungsschwerpunkt und persönlichem Marketingtalent ist es wahrscheinlich gut möglich, die Praxis zu füllen - und man spart sich dann die Kosten für den Sitz und viel Verwaltungsaufwand
- Man kann ohne riesigen Aufwand ausprobieren, ob eine eigene Praxis das richtige ist
5 Gründe GEGEN eine Privatpraxis
- Man ist trotzdem an die GOP (Gebührenordnung für Psychotherapeut*innen) und an die berufsrechtlichen Pflichten gebunden. So kann man das Honorar nur innerhalb relativ enger Grenzen gestalten und muss auch zB die Vorschriften zur Dokumentation oder zum Qualitätsmanagement beachten
- Es ist finanziell unsicherer. Je nachdem, wo die Praxis sich befindet und was der Praxisschwerpunkt ist, gibt es vielleicht nicht viele Privatversicherte oder Menschen, die als Selbstzahler*innen in Frage kommen. Außerdem ist die Zahlungsmoral der Patient*innen nicht immer gut und man muss eventuell Zeit ins Mahnwesen stecken oder auf Geld verzichten
- Eng damit zusammenhängend: Die Planungssicherheit einer Privatpraxis ist viel geringer, als mit Kassensitz
- Wenn Therapieplätze immer vergeben sein sollen, muss man in den meisten Regionen Arbeit ins "Marketing" der eigenen Praxis stecken. Was oft keine Kernkompetenz von uns Psychotherapeut*innen ist (und auch nicht so gut zur therapeutischen Rolle passt)
- Man hat auch daneben viel "nicht therapeutische Arbeit". Wenn man beispielsweise nicht ausschließlich Privatversicherte behandeln, sondern auch im Erstattungsverfahren arbeiten möchte (oder aus finanziellen Gründen muss), muss man mit den gesetzlichen Kassen verhandeln. Das bedeutet unter anderem: Berichte und oft auch Widersprüche schreiben. Diese Arbeitszeit wird nicht honoriert, außerdem muss man mit der Enttäuschung bei den Patient*innen (und bei sich selbst) umgehen
Fazit
Sowohl ein Kassensitz als auch eine Privatpraxis haben ihre Vorteile und ihre Nachteile. Je nach Ihren persönlichen Zielen, Werten und Vorlieben kann beides attraktiv sein. Wichtig finde ich, dass Sie sich vorab ein bisschen damit beschäftigen, was Ihre Entscheidung mit sich bringt, damit Sie sie gut gestalten können.
Es ist bestimmt auch sinnvoll, sich dazu mit Kolleg*innen aus Ihrer Region auszutauschen. Denn die Entscheidung ist vielleicht auch davon abhängig, ob es in Ihrer Gegend z.B. wenig (oder viele) privat Versicherte gibt oder Kassensitze besonders rar (oder leicht zu haben) sind. Darüber Bescheid zu wissen, kann viel Stress ersparen. Manches klärt sich aber auch, wenn man sich auf den Weg macht. Denn letztlich entsteht der Weg ja oft beim Gehen (aber eine gute Landkarte schadet nicht).
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